Mittwoch, 23. März 2011

Es köchelt die Ur-Suppe....

Es gehört zu den berühmtesten Experimenten der Biologie: 1953 kochte Stanley Miller die Ursuppe nach, jenes Gebräu, aus dem das Leben entstanden sein soll. Seit jeher gibt es aber Zweifel an der Theorie. Doch Forscher haben alte Proben Millers wiedergefunden - und Überraschendes darin entdeckt.

Scripps Institution of Oceanography/ UC San Diego


Forscher sind Liebhaber des gepflegten Chaos. Scheinbar willkürlich sind merkwürdige Apparaturen auf den Labortischen verteilt, in den Regalen stehen ungeordnet Flaschen, Dosen und andere Behältnisse mit Chemikalien herum, überall stapeln sich Schachteln mit Einweghandschuhen, Plastikgefäßen, Pipetten und anderen seltsamen Gegenständen. Im Laufe der Zeit sammeln Wissenschaftler Hunderte, gar Tausende von Probenbehältern. Alle gefüllt mit den wertvollen Ergebnissen der mühevollen Forschungsarbeit.

Diese landen, in kleinen Boxen verpackt, mal mehr oder weniger eindeutig beschriftet, in den Archivregalen, Kühlschränken oder in den mit flüssigem Stickstoff gefüllten Tanks. Manchmal werden sie später für ein weiteres Experiment wieder herausgekramt - häufig geraten sie aber dort in Vergessenheit. Ähnlich passierte das 1958 an der University of Chicago mit den Proben von Stanley Lloyd Miller. Fünf Jahre zuvor hatte es der damals noch junge Doktorand als Ursuppenkoch zu Ruhm gebracht, mit jenem Experiment, bei dem er die Entstehung der Grundbausteine des Lebens in einem Glaskolben nachahmte.

Einen etwas abgewandelten Versuch startete Miller ein paar Jahre später. Die neuen Ursuppen-Pröbchen landeten im Regal, doch Miller, soweit sich seine Kollegen und Freunde erinnern, soll sie den Rest seines Lebens nicht mehr angerührt haben. Jeffrey Bader, einst Schüler Millers und jetzt Forscher von der Scripps Institution of Oceanography der University of San Diego, muss geahnt haben, welches Vermächtnis dort in den Laboren von Chicago lagert. Jetzt präsentiert er den wissenschaftlichen Schatz Millers im Fachjournal "Proceedings of the National Academy of Sciences" in einem neuen Licht.

Indiana University/ Ned Shaw

Weitaus ergiebiger als gedacht
 
Nachdem Millers Nachlass rund fünfzig Jahre später wieder ans Tageslicht kam, machte sich Bader mit einem Forscherteam aus Mexiko und den USA daran, die Proben mit den neuen Forschungsmethoden im Detail zu analysieren. Zur Verblüffung der Wissenschaftler war die Ursuppe weitaus gehaltvoller, als bisher gedacht: Gleich 22 Aminosäuren, die Grundbausteine für Proteine, 5 Amine, wichtige stickstoffhaltige organische Verbindungen, sowie 7 organische Schwefelverbindungen entdeckten die Chemiker in ihren Analysen. "Zu unserer Überraschung war der Ertrag an Aminosäuren weitaus ergiebiger als in jedem anderen Experiment, das Miller durchgeführt hatte", sagt Bada.

Für die Analysen nutzten die Forscher die sogenannte Hochleistungsflüssigchromatografie (HPLC) sowie die Flugzeitmassenspektrometrie - zwei hoch komplexe Methoden, bei denen Substanzen in ihre Einzelbestandteile getrennt und identifiziert werden.

Science/ AAAS


Entstanden war die Miller'sche Lebensbrühe in einem recht einfachen Versuchsaufbau, den der Forscher 1953 erstmals in einem kurzen Artikel im Wissenschaftsmagazin "Science" publiziert hatte. In einem Glaskolben ahmte Miller die Uratmosphäre und die Urozeane nach: Er verschloss darin ein Gemisch aus Methan, Wasserstoff, Wasserdampf und Ammoniak und jagte elektrische Ladungen hindurch. So erzeugte er ein künstliches Gewitter, das die chemischen Reaktionen anregen sollte.

Miller veröffentlichte seinen Schatz nicht
 
Nach einer Woche schwammen in der bräunlichen Brühe tatsächlich unter anderem einfache Aminosäuren. Als er die Experimente 1958 wiederholte, enthielt das Gemisch zusätzlich Kohlendioxid und Schwefelwasserstoff. Doch die Ergebnisse wertete Miller nie aus und publizierte sie nicht. Möglicherweise weil es nicht lange dauerte, bis sich in den fünfziger Jahren die ersten Kritiker zu Wort meldeten, die an der Ursuppentheorie zweifelten.

Die Hoffnung, dass aus einem solchen Gebräu bald die ersten Einzeller kriechen würden, zerschlug sich. Offenbar ist es von der Ursuppe zu den ersten Lebewesen ein sehr weiter Weg, über deren Vorstufen man heute noch im Unklaren ist. Zudem würde die Mischung in Millers Glaskolben die Atmosphäre der Erde vor vier Milliarden Jahren nicht richtig nachahmen, glauben andere Experten.
Jetzt aber liefern Bader und seine Kollegen ein neues Argument für die Ursuppentheorie. Eines, das schon viele Jahre in dem Gebräu geschlummert hatte, aber noch nicht entdeckt wurde: Erst in den siebziger Jahren gelang es Wissenschaftlern, schwefelhaltige Aminosäuren aus einfachen Molekülen nachzukochen. "Dabei war es Miller - ohne sein Wissen - bereits 1958 gelungen", sagt Bada. Offenbar waren Millers Gasgemische der Uratmosphäre auf der Erde, so wie Geochemiker sie sich heute vorstellen, doch weitaus ähnlicher als bisher gedacht.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Bader und seine Kollegen über die alten Fläschchen Millers gebeugt haben. Bereits 2008 hatten die Forscher die ersten eingetrockneten Proben untersucht. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, das sich die ersten Aminosäuren in und an vulkanisch aktiven Inseln gebildet haben könnten - und nicht wie meist angenommen im Meer oder bereits ausgebildeten Landmassen. Viele Geowissenschaftler glauben, dass Vulkane einst viel stärker von Wasser bedeckt waren als heute - eine Oase, wo sich die Rohmaterialien in ausreichender Menge angesammelt und sich durch die elektrischen Entladungen bei Gewittern in die Grundbausteine des Lebens und schließlich zu primitiven Lebensformen umgewandelt haben könnten.

Millers schwefelhaltige Proben ähneln aber auch dem, was immer wieder in Meteoriten gefunden wird. Eine Ursuppe, wie sie Miller nachgekocht hat, könnte also auch im Weltall entstanden und später auf die Erde gebracht worden sein. Bada und seine Kollegen forschen weiter nach dem Ursprung des Lebens: Noch in diesem Jahr wollen sie das klassische Experiment Millers wiederholen. Mit modernem Equipment. Ob die Nouvelle Cuisine neue Ergebnisse zutage bringt, wird sich zeigen.

Quelle: Spiegel.de

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